„Bei mir an Bord nur das Beste“: Georg und Veronika Schäffer auf dem Vorderdeck der MS Veronika, dem ältesten Schiff auf der Donau. Foto: altrofoto.de


Regensburger Fahrensmann

Georg Schäffer lebt auf und von der Donau: Mal als Lotse, mal als kochender Kapitän

In der Abendsonne auf dem Vordeck zündet sich Georg Schäffer eine Havanna an und lässt den Rauch alter  Redensarten aufsteigen: „Ein guter Kapitän ist selten an Land“, sagt er. Schäffer lotst   Donau-Frachtschiffe durchs Nadelör zwischen Straubing und Vilshofen. Die „Freizeit“ verbringt er in Regensburg, an Bord seines Schiff. Heute genießt er mit seiner Frau die Abendruhe. Das Motorschiff trägt ihren Namen:  MS Veronika. Ganz romantisch liegt es vertäut  am Ende der Werftstraße. Im Fenster spiegeln sich die Domtürme.

 Zu einem Leben als Fahrensmann müsse man geboren sein. „Ich bin mit dem Wasser aufgewachsen und lebe vom Wasser“, sagt der Sohn eines Schiffsführers aus Altessing.  Morgens um 4 Uhr steht Schäffer auf und späht von seiner Wohnung im ersten Stock, Weiße-Hahnengasse 1, aus dem Fenster. Wie ist der Wasserstand an der Steinernen Brücke? Jeden Tag  steht er lange Stunden am Ruder  fremder Donauschiffe. Schäffer lebt vom Umfahren der Untiefen der frei fließenden Donau zwischen Straubing und Vilshofen. „Viereinhalb Stunden runter  und 9 Stunden wieder rauf.“ In Straubing geht er an Bord.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Als freiberuflicher Lotse kennt er  gute und  schlechte Zeiten.   „Die Ungarn halten die Ware zurück“, sagt er. „Die Folgen des Ukrainekriegs.“ In ruhigen Zeiten geht der Kapitän schon mal an Land. Mit gesenktem Blick durchstreift er die Schwammerlhölzer des Paintner Forsts.  Die kennt er wie seine Hosentasche. Heute hatte er Steinpilze gefunden. Er putzte sie an Deck, bereitete sie schmackhaft zu und verputzte sie mit seiner Veronika.   

Der goldene Oktober  hat ihm noch mal einen vollen Sonnentag geschenkt. Jetzt am Abend nippt er am Gläschen „Don Papa Baroko“. „Bei mir an Bord nur das Beste“, sagt der Genießer. Wenn er  den Kopf nach links dreht, auf die Reihe der Kreuzfahrtschiffe, lächelt er mit leiser Verachtung. Die kennt er schon. Er hat Touristen auf  schwimmenden Glascontainern bis zum Schwarzen Meer gefahren. Aber was, bitteschön, ist die Viking Star gegen seine MS Veronika?

 Das älteste Schiff in Regensburg

Die MS Veronika ist das älteste Schiff auf der Donau. Sie könnte ein Lied davon singen, warum es am Rhein so schön ist.  1903 wurde sie von der Ruthof-Werft in Mainz als Fährschiff für den Rhein gebaut. Dort verkehrte sie in ihrer Jugend unter Dampf  zwischen Bingen und Rüdesheim. Ihr eiserner Rumpf (27,55 Meter lang, 4,68 Meter breit) ist genietet, der Aufbau aus Eichenholz. Selbst das Fensterglas in der Kajüte ist original.  Er hätte das Vaterhaus haben können. Aber er wollte ein Haus mit Schiffsplanken, sein Traumschiff. „Man hat mich deswegen für verrückt erklärt.“ Nächstes Jahr feiern die beiden Unzertrennlichen  zwei runde Geburtstage. Die MS Veronika wird 120, Georg wird 60. Liebe kennt kein Alter.


„Eigentlich wäre ich gerne
Sternekoch geworden"

 2005 hat er sich in die ehrwürdige Motoryacht aus der Kaiserzeit verliebt. Und das kam so: Sie wartete im Segelhafen von Ochsenfurt auf Georg Schäffer. Damals war sie noch ein Ausbildungsschiff der inzwischen geschlossenen einzigen deutschen Berufsschule für Binnenschifffahrt. Heinz Schleßmann war dort Lehrer. Der Kapitän hatte mit ihr einen Anleger für das Schifffahrtsunternehmen Klinger nach Regensburg geschleppt.

 2007 war wichtig für Georg Schäffer. Der Fahrensmann kaufte sich das  alte Fährschiff  und landete damit im Hafen der Ehe. Der Bericht von der Trauung toppte im Regensburg-Geflüster der MZ das Bild des Pentlinger Bürgermeisters bei der Papstaudienz.  Veronika Fischer, eine Fitness-Lehrerin mit langen blonden Haaren, war die glückliche Braut. Der Niederbayer  hatte die Tochter einer Hamburgerin auf der Donau kennengelernt. Für beide war es nicht die erste Ehe.  „Ich habe sie erst gefragt, ob sie sich vorstellen kann, mit mir ein Schiff zu haben. Dann erst, ob sie meine Frau werden will.“ Nun haben sie ein Schiff, das ihren Namen trägt.

Damit konnte Schäffer einen anderen Lebenstraum verwirklichen. „Eigentlich wäre ich gerne Sternekoch geworden. Wegen einer Note wurde mir ein  anderer Bewerber für die Lehrstelle vorgezogen.“ Dann eben auf Umwegen: Schäffer lernte das Steinmetzhandwerk und meldete sich danach gleich zur Marine. Die seemännische Ausbildung  schloss er als Hauptgefreiter zur See ab. Als er 1987 das Patent erwarb, war er  mit 24 Jahren  der jüngste.  Der Donaukapitän mit der Äquatortaufe hat für die Kelheimer Reederei Steibl die Weltenburg-Touren gemacht, ist für das Schifffahrtsunternehmen Klinger über den Strudel gefahren und schipperte für eine  europäische Reederei die Donau  runter bis ans Schwarze Meer.

Mit der Kanalöffnung  hat er für sich eine Marktlücke entdeckt und wurde Lotse. „Der Arbeit brauch ich nicht nachlaufen“, sagt er. 600 Stammkunden aus allen Nationen vertrauen auf den Schore. Der Fahrensmann ist seit 35 Jahren havariefrei. Als kochender Kapitän kommt er nie mit leeren Händen. „Die armen Schiffsführer stehen heute bis zu  14 Stunden am Ruder und haben kaum Zeit zum Einkaufen, geschweige denn zum Kochen. Die sind froh, wenn man ihnen Semmeln und Weißwürste an Bord bringt.“

Schweinsbraten vom Kapitän 

Sein zweites Standbein sind die romantischen Schifffahrten. Schäffer setzt auf Menschen, die sich auf einem schwimmenden Hotel-Giganten verloren fühlen. Er bietet ihnen zwischen Königlicher Villa und Kruckenberg  romantische Stunden auf der Donau. In der Kombüse   kann  er seinen Traum  leben. „Letztes Wochenende habe ich für 15 Leute einen Bio-Schweinsbraten mit Knödeln gekocht.“ Ein Kapitän, der für sein Leben gern kocht und im Winter in der Kapitäns-Kajüte die Tomatenpflänzchen zieht, auf welchem Schiff gibt es das noch?

"Hier lebt man wirklich

 in einer Parallelwelt"

Auf dem Anleger betreibt Schäffer einen Gemüse- und Kräutergarten. Im Treibhaus wachsen bulgarische Tomaten heran, die Ochsenherzen. Wenn sich die Sonne über der MS Veronika senkt und malerisch zwischen den Jochen der Steinernen Brücke untergeht, fliegen die Möwen tief über der Donau in ihre Nachtquartiere und der  Graureiher zieht in majestätischer Einsamkeit seine Bahn. Mit der Dämmerung kommen die Fledermäuse. In diesen Abendstunden wird der Fahrensmann sentimental. „Hier lebt man wirklich in einer Parallelwelt.“

Schäffer fühlt, er hat alles richtig gemacht. Flüsse gibt es viele, aber keiner ist wie sie: Die Donau hat  einen beschaulichen  Anfang in Donaueschingen und ein Finale furioso in Sulina. Gegenüber der Königlichen Villa, auf Flusskilometer 2379, fühlt man ihn fließen, den geheimnisvollen Strom, der Länder, Völker und  Zeiten verbindet. Auf dem Vordeck fühlt Schäffer Natur- und Weltverbundenheit. Der  silbrig glänzende Handlauf führt  in Gedanken fort und bleibt  trotzdem ein Stück Heimat. An ihrem Bett sitzen in dieser Stunde Menschen in  derselben verträumten Stimmung, egal, ob sie sie  nun „Dunai“ oder „Doana“ nennen.

Abends gegen halbzehn Uhr verabschiedet sich Georg Schäffer von seinen  „panta rei“-Gefühlen. Er zieht sich die schneidige zweireihige Kapitänsjacke aus Leder von Manfred Brendler über, seinem Hamburger Marineausstatter,   um mit dem Schiffshund Jimi, dem Karpaten-Mischling, die Werftstraße hinauf nach Hause zu gehen. Manchmal, sagt er, bleibt er noch auf ein Schwätzchen bei Franz stehen, dem aufmerksamen Nachbarn der immer ein Auge auf sein Schiff hat.

Vielleicht hat er ihm schon von seinem nächsten Traum erzählt. In fünf, sechs Jahren will der  Lotse etwas kürzertreten und am  Mittelmeer überwintern, mit seiner Frau Veronika. Die bereitet sich in einem Französisch-Konversationskurs schon darauf vor. Dann sieht das ehemalige Rhein-Fährschiff MS Veronika  auf seine alten Tage womöglich noch die Cote d´Azur.

(Der Bericht erschien in der Mittelbayerischen Zeitung)




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