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Alois Peithner lässt die Funken sprühen Foto: Hanske |
Die letzten Meister aus Karlsbad
Die Namen Deutzer und Peithner stehen für eine untergegangene Welt deutsch-böhmischer Handwerkskunst
Regensburg.
Dass der Dampfnudel-Uli, Gott sei es geklagt, im Februar in seiner weltberühmten Mehlspeisen-Kapelle die letzte kulinarische Messe las,
markierte das Ende einer einzigartigen
Karriere. Das Phänomen des
Konditormeisters, der in seiner Arbeit aufgegangen war wie der Dampfnudelteig
im Topf, hat den Baumburgerturm verlassen.
Das war das Schlusskapitel einer besonderen Geschichte. Der Dampfnudel-Uli war tatsächlich der letzte aus
der Riege der aktiven Handwerksmeister, die von sich sagen können, „ich bin in Karlsbad geboren“. Das Buch hat Uli Deutzer 46 Jahre offen gehalten, so
lange er es physisch konnte. Sein erklärtes Ziel, den 80. Geburtstag unter
seinen Gästen aus aller Welt zu feiern, hat Deutzer nicht erreicht.
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Die vergoldeten Nägel in der Decke des Rathaussaals hat Alois Peithner vor seinem Tod geschmiedet. |
Wenn Uli Deutzer seine Wohnung in der Maffeistraße verlässt,
am Nachmittag, für ein Viertelstündchen
vielleicht, meidet er die Gegend um den Baumburgerturm. Vorm Bild des Bayernkönigs
brennt dort keine Kerze mehr. Es zieht
ihn nichts mehr hin. Es täte bloß weh. Die Gedanken aber sind dort geblieben, sie kreisen
und kreisen. Auch um besonders kostbare Erinnerungen an seine Stammgäste von
daheim im schönen Karlsbad.
Die Hauptstadt der Dampfnudel
Im Januar 2018 zum Beispiel, als der Architekt Oswald
Peithner ins Lokal kam. Schöner Anlass
war eine Reportage in einem
tschechischen Magazin über „Regensburg, die Hauptstadt der Dampfnudel“. Das war
quasi der Ritterschlag für Deutzers Lebensleistung und Peithner krönte die
Feierstunde mit seiner Anwesenheit als Zeitzeuge. Der damals 86-Jährige kam mit frischem Elan
zur Tür herein und setzte sich jovial lächelnd an die Registrierkasse, da wo
die besonderen Gäste saßen. „Zwischen Leberknödelsuppe und Dampfnudel hat
Peithner vom alten Karlsbad geschwärmt“,
erinnert sich Deutzer am Telefon. Dampfnudel-Uli empfängt nicht mehr.
Der Architekt ehrte im Baumburgerturm auch seinen
Vater, den Handwerksmeister und Metallbildhauer Alois (1903 bis 1985), der in
München bei bedeutenden Professoren studiert hatte. Der in München geborene Peithner-Sohn,
gelernte Schmied und erfolgreiche Architekt zauberte den alten Karlsbader Glanz
in Deutzers Dampfnudel-Kapelle. In diesem magischen Moment blieb die Zeit
stehen. Im weltbekannten Hotel Pupp könne man heute noch Alois Peithners
Schmiedearbeiten bewundern. Und Peithner erzählte, wie er mit seinem Freund,
dem Biologieprofessor em. Widmar Tanner, kürzlich ins Hotel Embassy essen
gegangen sei, habe er ihm das kunstvolle Kamingitter aus der Hand seines Vaters
gezeigt. „Im Embassy sind alle Schmiedearbeiten von meinem Vater.“
„Der Schmied von Regensburg“
Oswald Peithner hütet das Erbe seines Vaters Alois. Foto: Wanner |
Damals war Alois Peithner bereits 73 Jahre alt. Jeden Tag stand er von morgens 7 bis abends 8 Uhr am Amboss. Seine Frau brachte ihm die Mahlzeit im Essgeschirr in die Arbeit. Am Sonntag, wenn er durch die Stadt spazierte, ging er unter „seinen“ Wirtshausschildern vorbei. Der Kneitinger-Ausleger mit dem goldenen Bock, die geschmiedete Umfassung der Speisekarte, die Haltepratzen für die Steintafel und „Sophies Laterne“ über dem Eingang zum Mutterhaus sind von Peithners Hand. „Mein Vater kannte selber kein Wirtshaus. Er war bedrückt durch die Aussiedlung. Er kannte nur die Arbeit. Ein Leben lang stand er voll drin in echter Kunst. Alles, was man am Alten Rathaus an Eisen sieht, ist von meinem Vater“, bestätigt sein Sohn. „Auch die Leuchter im Ratskeller“. Solange er von Adolf Krämling, einem Marienbader, geführt wurde, sei der Ratskeller das erste Haus in Regensburg gewesen.
Alois Peithners Amboss
Heute steht der Amboss seines Vaters bei Oswald
Peithner im Keller. Er sei so stolz darauf gewesen, weil darin das Jahr 1904
eingeprägt war. Amboss und Meister waren beide fast gleich alt. Bis vier Wochen
vor seinem Tod im Jahr 1985 sei er an
seiner Esse gestanden. „Einer seiner letzten Arbeiten waren 940 Nägel für die
Decke des Reichssaals. Er hat sie handgeschmiedet.“ Acht Jahre vor seinem Tod
ehrte ihn die Stadt Regensburg mit ihrem Kulturpreis. Dr. Karl Pfluger sagte:
„Ohne Ihre schöpferische Arbeit wäre gerade die Erhaltung und Sanierung der
Altstadt in Regensburg nicht möglich gewesen.“
„Mein Vater war der letzte Schmied, der
noch die französische Treibtechnik beherrschte“
Die Aufträge
erteilte Kulturdezernent Dr. Walter Boll.
Peithner und Boll starben im selben Jahr. Dass sich Keramikmeister Gerhard
Küffer am Fischmarkt zur Institution
etablieren konnte, habe er auch ein wenig seinem Vater Alois Peithner zu verdanken. „In seinem Testament verfügte er
gewissermaßen, dass in die Schmiede am
Fischmarkt, Goldene-Bären-Straße 1, eine Stadtbau-Immobilie, wieder ein
Handwerksbetrieb kommt.“
In seinem Pult-Haus im Stadtwesten, das um einen
Nussbaum gebaut wurde, hängen die Hände
voll mit Werkstücken seines Vaters. Ein
ganzes Zimmer ist mit seinen Arbeiten ausgestattet. Der Architekt nimmt
zärtlich einen Metallteller in die Hand: „Mein Vater war der letzte Schmied, der noch die französische Treibtechnik beherrschte.“ Ein jugendliches Lächeln steht in seinen
Mundwinkeln. Auch er hat sein Feld bestellt. Jüngst ist er zum Mitglied der
Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste ernannt worden.
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Sophies Lampe über dem Tor des Kneitinger Mutterhauses |
Aus der unfassbaren Höhe seiner 90 Jahre schaut er auf eine lange Geschichte der
Karlsbader Handwerksmeister zurück. „Als
Kind habe ich bei Deutzer in der Prager
Straße die Kolatschen geholt, mit Mohn-, Quark oder
Plaumenmusfüllung.“ Peithner erinnert sich an einen Tag im Jahre 1947 als er 15-jährig
Edi Deutzer, den Vater des Dampfnudel-Uli, über den Neupfarrplatz gehen sah. „Ich
hab mich gefreut, dass auch der Deutzer hier gelandet ist.“
Es gibt noch ein paar alte Karlsbader Knaben. Die Vertreibung
traf sie damals mitten in der Pubertät. Heinz Rehorik war bei Kriegsende 16. Sein Vater Hugo hatte in
Karlsbad die Kaffeerösterei gegründet und musste in Regensburg neu anfangen. Das
Cafe Deutzer in der Keplerstraße wurde schnell ein Zentrum der Karlsbader. „Mein
Vater und der Edi waren Freunde. Sein Cafe Deutzer übersiedelte 1963 in die
Pfauengasse.“
Oswald Peithner bestätigt: „Teppichhändler Strohner,
der Backpulver-Müller aus Neutraubling… das gesamte Karlsbader Umfeld traf sich
im Deutzer.“ Im beginnenden Wirtschaftswunder hätten die Karlsbader und
die anderen Heimatvertriebenen, die zu Tausenden nach Regensburg gekommen
waren, „dem Vorschub die Stütze gegeben“, wie es Peithner nennt.
„Damals gab
es unter uns den Spruch: Wenn die Heimatvertriebenen nicht gewesen wären, wäre
der D-Zug weiter an Regensburg vorübergefahren.“ 77 Jahre nach Kriegsende hält
in Regensburg der ICE. Das Buch der aktiven
Handwerksmeister aus Karlsbad ist mit dem Dampfnudel-Uli zugeklappt.