Alois Peithner lässt die Funken sprühen Foto: Hanske

 

Die letzten Meister aus  Karlsbad

Die Namen Deutzer und Peithner stehen für eine untergegangene Welt deutsch-böhmischer Handwerkskunst

 

Regensburg. Dass der Dampfnudel-Uli, Gott sei es geklagt,  im Februar in seiner weltberühmten Mehlspeisen-Kapelle  die letzte kulinarische Messe las, markierte  das Ende einer einzigartigen Karriere. Das  Phänomen des Konditormeisters, der in seiner Arbeit aufgegangen war wie der Dampfnudelteig im Topf, hat den Baumburgerturm verlassen.

Das war das Schlusskapitel einer besonderen  Geschichte.  Der Dampfnudel-Uli war tatsächlich der letzte aus der Riege der aktiven Handwerksmeister, die von sich sagen können, „ich bin in  Karlsbad geboren“. Das Buch  hat Uli Deutzer 46 Jahre offen gehalten, so lange er es  physisch konnte.  Sein erklärtes Ziel, den 80. Geburtstag unter seinen Gästen aus aller Welt zu feiern, hat Deutzer nicht erreicht.


Die vergoldeten Nägel in der Decke des Rathaussaals hat Alois Peithner vor seinem Tod geschmiedet. 


Wenn Uli Deutzer seine Wohnung in der Maffeistraße verlässt, am  Nachmittag, für ein Viertelstündchen vielleicht, meidet er die Gegend um den Baumburgerturm. Vorm Bild des Bayernkönigs brennt dort keine  Kerze mehr. Es zieht ihn nichts mehr hin. Es täte bloß weh. Die  Gedanken aber sind dort geblieben, sie kreisen und kreisen. Auch um besonders kostbare Erinnerungen an seine Stammgäste von daheim im schönen Karlsbad.

Die Hauptstadt der Dampfnudel

 Nach dem Krieg hat es viele Deutsch-Böhmen aus dem Weltbad an der Tepl an den Donaustrand verschlagen. Berühmte Namen waren darunter wie Müller, Rehorik, Deutzer und Peithner. Bis weit in die 80er Jahre verkehrten die Familien auch noch untereinander. Dann hörte die Tradition langsam auf. „Die alten Karlsbader sterben aus“, sagt der älteste, Heinz Rehorik (93), mit heiterem Ton am Telefon. Deswegen sind die Male, in denen die alten  Karlsbader an Dampfnudel-Ulis Theke saßen,  Momente, die dem melancholischen Konditor wie Leuchtpunkte im Gedächtnis bleiben.

Im Januar 2018 zum Beispiel, als der Architekt Oswald Peithner  ins Lokal kam. Schöner Anlass war eine  Reportage in einem tschechischen Magazin über „Regensburg, die Hauptstadt der Dampfnudel“. Das war quasi der Ritterschlag für Deutzers Lebensleistung und Peithner krönte die Feierstunde mit seiner Anwesenheit als Zeitzeuge.  Der damals 86-Jährige kam mit frischem Elan zur Tür herein und setzte sich jovial lächelnd an die Registrierkasse, da wo die besonderen Gäste saßen. „Zwischen Leberknödelsuppe und Dampfnudel hat Peithner vom  alten Karlsbad geschwärmt“, erinnert sich Deutzer am Telefon. Dampfnudel-Uli empfängt nicht mehr.

Der Architekt ehrte im Baumburgerturm auch seinen Vater, den Handwerksmeister und Metallbildhauer Alois (1903 bis 1985), der in München bei bedeutenden Professoren studiert hatte. Der in München geborene Peithner-Sohn, gelernte Schmied und erfolgreiche Architekt zauberte den alten Karlsbader Glanz in Deutzers Dampfnudel-Kapelle. In diesem magischen Moment blieb die Zeit stehen. Im weltbekannten Hotel Pupp könne man heute noch Alois Peithners Schmiedearbeiten bewundern. Und Peithner erzählte, wie er mit seinem Freund, dem Biologieprofessor em. Widmar Tanner, kürzlich ins Hotel Embassy essen gegangen sei, habe er ihm das kunstvolle Kamingitter aus der Hand seines Vaters gezeigt. „Im Embassy sind alle Schmiedearbeiten von meinem Vater.“

„Der Schmied von Regensburg“

 Das lange Stehen im Geschirr  hat bei den Karlsbader Handwerksmeistern Tradition. Viele haben gearbeitet bis zum sprichwörtlichen Umfallen. Alois Peithner war das eherne Herz der ehemaligen Karlsbader. Horst Hanske hat ihn oft in seiner Schmiede am Fischmarkt besucht und 1976 in der „WOCHE“ als den  „Schmied von Regensburg“ besungen. „Ein alter Mann, klein, breitschultrig, wortkarg,  mit flinken Augen hinter der Hornbrille. Er treibt mit Hammer und Amboss das rotglühende Eisen in die herrlichsten Formen.“


Oswald Peithner hütet das Erbe seines Vaters Alois. Foto: Wanner

Damals war Alois Peithner bereits 73 Jahre alt. Jeden Tag stand er von morgens 7 bis abends 8 Uhr am Amboss. Seine Frau brachte ihm die Mahlzeit im Essgeschirr in die Arbeit. Am Sonntag, wenn er durch die Stadt spazierte, ging er unter „seinen“ Wirtshausschildern vorbei. Der Kneitinger-Ausleger mit dem goldenen Bock, die geschmiedete Umfassung der Speisekarte, die Haltepratzen für die Steintafel und „Sophies Laterne“ über dem Eingang zum Mutterhaus sind von Peithners Hand. „Mein Vater kannte selber kein Wirtshaus. Er war  bedrückt durch die Aussiedlung. Er kannte nur die Arbeit. Ein Leben lang stand er  voll drin in echter Kunst. Alles, was man am Alten Rathaus an Eisen sieht, ist von meinem Vater“, bestätigt sein  Sohn. „Auch die Leuchter im Ratskeller“. Solange er  von Adolf Krämling, einem Marienbader, geführt wurde, sei der Ratskeller das erste Haus in Regensburg gewesen.  

Alois Peithners Amboss

Heute steht der Amboss seines Vaters bei Oswald Peithner im Keller. Er sei so stolz darauf gewesen, weil darin das Jahr 1904 eingeprägt war. Amboss und Meister waren beide fast gleich alt. Bis vier Wochen vor seinem Tod im Jahr 1985 sei er  an seiner Esse gestanden. „Einer seiner letzten Arbeiten waren 940 Nägel für die Decke des Reichssaals. Er hat sie handgeschmiedet.“ Acht Jahre vor seinem Tod ehrte ihn die Stadt Regensburg mit ihrem Kulturpreis. Dr. Karl Pfluger sagte: „Ohne Ihre schöpferische Arbeit wäre gerade die Erhaltung und Sanierung der Altstadt in Regensburg nicht möglich gewesen.“

 „Mein Vater  war der letzte Schmied, der  
noch  die französische Treibtechnik beherrschte“ 


Die Aufträge erteilte  Kulturdezernent Dr. Walter Boll. Peithner und Boll starben im selben Jahr. Dass sich Keramikmeister Gerhard Küffer  am Fischmarkt zur Institution etablieren konnte, habe er auch ein wenig seinem Vater Alois Peithner  zu verdanken. „In seinem Testament verfügte er gewissermaßen,  dass in die Schmiede am Fischmarkt, Goldene-Bären-Straße 1, eine Stadtbau-Immobilie, wieder ein Handwerksbetrieb kommt.“   

In seinem  Pult-Haus im Stadtwesten, das um einen Nussbaum gebaut wurde,  hängen die Hände voll mit  Werkstücken seines Vaters. Ein ganzes Zimmer ist mit seinen Arbeiten ausgestattet. Der Architekt nimmt zärtlich einen Metallteller in die Hand:  „Mein Vater  war der letzte Schmied, der noch  die französische Treibtechnik beherrschte.“  Ein jugendliches Lächeln steht in seinen Mundwinkeln. Auch er hat sein Feld bestellt. Jüngst ist er zum Mitglied der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste  ernannt worden.

Sophies Lampe über dem Tor des Kneitinger Mutterhauses


Aus der unfassbaren Höhe seiner  90  Jahre schaut er auf eine lange Geschichte der Karlsbader Handwerksmeister zurück.  „Als Kind habe ich bei Deutzer  in der Prager Straße die  Kolatschen  geholt, mit Mohn-, Quark oder Plaumenmusfüllung.“ Peithner erinnert sich an einen Tag im Jahre 1947 als er 15-jährig Edi Deutzer, den Vater des Dampfnudel-Uli, über den Neupfarrplatz gehen sah. „Ich hab mich gefreut, dass auch der Deutzer hier gelandet ist.“

Es gibt noch ein paar alte Karlsbader Knaben. Die Vertreibung traf sie damals mitten in der Pubertät. Heinz Rehorik war  bei Kriegsende 16. Sein Vater Hugo hatte in Karlsbad die Kaffeerösterei gegründet und musste in Regensburg neu anfangen. Das Cafe Deutzer in der Keplerstraße wurde schnell ein Zentrum der Karlsbader. „Mein Vater und der Edi waren Freunde. Sein Cafe Deutzer übersiedelte 1963 in die Pfauengasse.“

Oswald Peithner bestätigt: „Teppichhändler Strohner, der Backpulver-Müller aus Neutraubling… das gesamte Karlsbader Umfeld traf sich im Deutzer.“ Im beginnenden  Wirtschaftswunder hätten die Karlsbader und die anderen Heimatvertriebenen, die zu Tausenden nach Regensburg gekommen waren, „dem Vorschub die Stütze gegeben“, wie es Peithner nennt.

 „Damals gab es unter uns den Spruch: Wenn die Heimatvertriebenen nicht gewesen wären, wäre der D-Zug weiter an Regensburg vorübergefahren.“ 77 Jahre nach Kriegsende hält in Regensburg der ICE. Das  Buch der aktiven Handwerksmeister aus Karlsbad ist mit dem Dampfnudel-Uli zugeklappt.

 

 

 

Beliebte Posts aus diesem Blog