Christa und Wolfgang Hammer am Zaun ihres Hauses am Hafnersteig. Foto: Wanner

Der Eingeborene vom Hafnersteig

Wolfgang Hammer kam 1946 in der Holzhaussiedlung zur Welt:   eine vergessene Arbeiterkolonie der Messerschmittwerke

Der Stahl der Gartentür, auf den Wolfgang Hammer seine kräftige, behaarte Hand legt, wird so schnell nicht rosten. Lindgrün und frisch wie der Frühling steht sein Haus am Hafnersteig. Doch nur Wolfgang Hammer und vielleicht noch „zwei, drei andere in Kumpfmühl“ wissen: Unter  der Tünche und Rigips schlummert ein Geheimnis: Der Kern ist  Holz aus Norwegen, geschlagen im Krieg, zusammengezimmert  in den besetzten Gebieten und aufgestellt von russischen Kriegsgefangenen.

Das Haus Nr. 24 ist eines der letzten aus der sogenannten Holzhaussiedlung, gebaut in den  Kriegsjahren für die kinderreichen Beschäftigten der Messerschmittwerke in Prüfening. Der pensionierte Industriemeister der Regensburger Zuckerfabrik ist hier am 28. Februar 1946 geboren, er ist hier aufgewachsen und hat sein Leben lang nie woanders gewohnt. Wolfgang Hammer war das jüngste von fünf Kindern. Sein Vater  Hans Hammer hatte in der Lehrlingswerkstatt der Messerschmitt-Flugzeugwerke den Jungen das Löten und Nieten beigebracht.

Nachbar  Erich Zweck (74),  ein pensionierter Gymnasiallehrer für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde, Buchautor und Archivwurm, hat sich für Hammer durch die Akten des  Regensburger Stadtarchivs gefressen. Zweck stieß dabei auf die Originalpläne des Gauwohnungskommissars vom 30. August 1941. Er sagt: „Zwischen Hafnersteig und Königswiesenweg waren 150 Holzhäuser geplant und in der Mitte ein kleiner See“. Wahrscheinlich ein Löschteich.

Nur zehn Prozent dieser Doppelhäuser wurden dann tatsächlich gebaut. Erhalten haben sich noch weniger. Zwei wurden bombardiert. Ihr hölzernes Gesicht haben sie alle verloren. Und heute hat sich das ganze Umfeld verändert. Die alten Häuser mit ihren Staketenzäunen sind verschwunden. Der Hafnersteig und die angrenzenden Straßen sind eine begehrte innerstädtische Wohnlage. „Eines dieser Häuser stand jetzt für 600 000 Euro zum Verkauf, das ist allein der Grundstückspreis“, sagt Wolfgang Hammer.

 Unter einem Dach mit „Schwafi“

 Er lebt in einem der letzten Messerschmitt- Doppelhäuser mit dem Schriftsteller Klaus „Schwafi“ Schwarzfischer  unter einem  Dach, aber in  getrennten Wohnungen.  Schwafi bewohnt mit seiner Frau das ehemalige Haus von Therese Kreuzer, einer Zitherlehrers-Witwe und Mutter von sechs Kindern. Hammer lebt schon immer da. Er hütet das  Original-Foto seines Holzhauses wie sein Augenlicht.  „Da, aus der Dachgaube, hab ich als  Bub  geschaut.“

Mit einem einzigen Wort antwortet Hammer auf die Frage, wie seine Kindheit war. „Wunderbar. Ich war nie allein.“ Jedes Haus war voller Kinder  in allen Altersgruppen. Auf dem ungeteerten Hafnersteig, dem historischen Weg zu den Lehmgruben der Hafner,  haben die Buben mit der Ferse  Schusserlöcher gegraben oder mit einem Stock Fahrradfelgen über den Feldweg getrieben. Auf alten Bildern  ist die Sicht frei  bis hinauf zum Fußballplatz der SpVgg Ziegetsdorf an der Wolfsteinerstraße. Ein Nachbar allerdings war  schon vorher da: Die Klein-Garten-Anlage Simmernstraße.

Ziege am Zwetschgenbaum

Nicht auf einen gepflegten Rasen legte man Wert, sondern auf die Erzeugung der  Mittel zum Leben: Es gab Gemüsebeete im Garten, dazwischen ein Dutzend Hühner mit Gockel und an den Zwetschgenbaum war eine Ziege gebunden.  Es war ein Reichtum an natürlichen Geräuschen und Gerüchen, an materiellen Reichtümern war Mangel. „An Dreg und drei Nuss“ – in diesem derben alten Vorkriegswort fasst der 76-Jährige den Besitzstand der kinderreichen Arbeiterfamilie Hammer zusammen.



Das 1942 gebaute Messerschmitt-Gefolgschaftshaus im Original. Foto: Hammer

Sein Vater sei heilfroh gewesen, bei Messerschmitt Arbeit gefunden zu haben. Gleich an der Simmernstraße bog er morgens in den geteerten Radweg in die Flugzeugfabrik ein. Der kam von der  damaligen Göringheimsiedlung (heute Ganghofersiedlung), der mit 840 Wohnungseinheiten bedeutend größeren Arbeiterkolonie von Messerschmitt, und führte  über das Gut Königswiesen in die Flugzeugwerke in Prüfening. Wolfgang Hammer hat seinen Vater nur in die andere Richtung radeln sehen, nach Osten in die Straubinger Straße, wo er nach 1945  als Schweißer in der Zuckerfabrik arbeitete. Seinen Sohn Wolfgang hat er 1960 auch dort untergebracht. Der Rohrleger-Lehrling  hatte den Kupferschmied Franz Wanner (1908 bis 1983) als Gesellen, den Vater des Verfassers dieser Zeilen.

 Gebaut von Kriegsgefangenen

 Als letzter Eingeborener der Holzhaussiedlung  ist Wolfgang Hammer ein wichtiger Zeitzeuge. Die Siedlung wäre ohne ihn aus dem Bewusstsein der Regensburger verschwunden.  Der Historiker Erich Zweck wurde für ihn  im städtischen Archiv fündig. Dort entdeckte er die entsprechenden Papiere und Pläne. Sie sind bislang unveröffentlicht. Dort steht es schwarz auf weiß: An die acht Hektar umfasste die geplante Holzhaussiedlung für die Luftwaffen-Rüstungsbetriebe zwischen Hafnersteig und Königswiesenweg. Sie war Teil eines größeren, reichsweiten Plans von Hermann Göring.  „Der Herr Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe hat befohlen, dass unverzüglich noch im Kriege etwa 10 000 Wohnungen für Gefolgschaften der Luftwaffenrüstungsindustrie errichtet werden. Es handelt sich dabei um Holzhäuser, die in luftwaffeneigenen Sägewerken in den besetzten Gebieten fabrikmäßig nach einheitlichen Typen hergestellt werden. Die Aufstellung der Holzhäuser erfolgt in eigener Regie der Luftwaffe durch Bausoldaten und Kriegsgefangene. Die Finanzierung wird dementsprechend von der Luftwaffe übernommen.“

 Ursprünglich war die Siedlung an der Schillerwiese geplant. Das Vorhaben wurde aber verworfen, weil die Häuser in der Einflugzone gelegen hätten. Auch der Standort in Kumpfmühl war nicht problemfrei, da er auf Braunkohlenfeldern liegt. Die Rohstoffbetriebe der Vereinigten Stahlwerke GmbH in Dortmund hatten das Bergbaurecht. Das musste erst außer Kraft gesetzt werden. Besitzer der Grundstücke waren Thurn- und Taxis und die evangelische Wohltätigkeitsstiftung. Ein halber Hektar gehörte den  Kumpfmühler Hilfsarbeiters-Eheleuten Max und Bertha Lehner.

Die Holzhäuser waren keine  Baracken, sondern vollständig unterkellerte massive Holzhausbauten mit einer Lebensdauer von 70 bis 80 Jahren. Nach dem Krieg ging die Siedlung zwar in städtischen Besitz über, dennoch schien die Zukunft der Holzhäuser ungewiss, wie aus einem Hinweis des Caritasverbandes Regensburg an Bürgermeister Herrmann vom  12. Mai 1945 ersichtlich ist.  Darin ist von  „Messerschmitt-Baracken hinter der St. Wolfgangskirche“ die Rede. Es sei rasches Zugreifen   notwendig, „da die Holzbaracken vollständig ausgeplündert und zur Gewinnung von Brennholz niedergerissen werden“.

 Wolfgang Hammer weiß noch, dass sich „fünf bis sechs Männer aus der Holzhaussiedlung am Wochenende reihum getroffen und im Gremium diskutiert haben, wie  man die Holzhäuser kaufen kann“. Die Stadt habe schließlich die Kaufpläne der einstigen Messerschmitt-Mieter bewilligt. Hammer: „1954 hat mein Vater das Holzhaus am Hafnersteig für drei bis viertausend Mark gekauft und bei der Sparkasse noch 2000 Mark für den Umbau aufgenommen.“ Durch den Umbau hat die Holzhaussiedlung allerdings ihr Gesicht verloren. „Auf die Holzwände sind Heraklitplatten gekommen und die sind verputzt worden.“

In der Wohnungsnot nach dem Krieg hätten bis zu zwölf Leute im Haus gewohnt. „Geschwister, Eltern, mein Bruder mit Frau und Kind und ein Zimmerherr mit Frau und Kind. Das war ein Ungar. Ich weiß noch, wie er am  4. Juli 1954, beim Endspiel der Fußball-WM nach der 2:0-Führung der Ungarn strahlend zu uns runtergekommen ist.“

Heute wohnen nur noch zwei Menschen im Haus mit dem Holzkern. 1977 hat seine Christa „reingeheiratet“. Wolfgang Hammer hatte das Mädchen aus dem Ostheim im Labor der Zuckerfabrik kennengelernt. Sie hatte ihm eine Schnittwunde am Daumen verbunden, dabei hat es zwischen beiden gefunkt. So kam Christa Wachter aus dem Ostheimer 12er-Bau ins Haus. „Aus der Arbeiterkolonie in die Arbeiterkolonie“, schwärmt Wolfgang Hammer, der letzte Ureinwohner der Holzhaussiedlung. In den 45 Jahren  hat sie Haus und Garten mit Figuren und Sprüchen beseelt und zum Schmuckstück herausgeputzt. Aber der Holzkern, der ist geblieben.

 


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